Road Rage bei einer Einsatzfahrt, oder: Retter massiv behindert – Notärztin: „Sowas habe ich noch nicht erlebt“

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Bockige Autofahrer, die Retter auf ihren Einsatzfahrten behindern, davon wird immer wieder berichtet. Notfallsanitäter, Notärzte und ihre Kolleginnen werden auf ihren ohnehin schon stressigen Fahrten zum Einsatzort oft noch unnötig ausgebremst und belehrt. Für einen dieser uneinsichtigen Autofahrer endete ein Amtsgerichtsverfahren jetzt mit einer Geldstrafe und monatelangem Führerscheinentzug.

Zusammengefasst

  • Ein älterer Autofahrer wurde bestraft, weil er Rettungsfahrzeuge während einer Notfallfahrt behindert haben soll.
  • Nach Aussage der Retter war der Fahrer rücksichtslos und machte keinen Platz, obwohl das Blaulicht und das Sondersignal – wenigstens überwiegend – eingeschaltet waren.
  • Das Amtsgericht verurteilte den Mann zu einer Geldstrafe von 2160 Euro und einem Führerscheinentzug von sieben Monaten.
  • Die Staatsanwältin betonte die besondere Rücksichtslosigkeit des Fahrers und dessen wiederholte Behinderung der Rettungsdienste.
  • Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

„Das Platzmachen klappt immer weniger“, sagt eine erfahrene Retterin. Nicht Platz zu machen sei „Alltag“, so ein Retter. Doch alles hat seine Grenze: Einen aus ihrer Sicht krassen Fall brachten DRK-Leute aus dem Kreis Rottweil jetzt vor Gericht. Die Verhandlung endete mit einem klaren Urteil, es ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Doch einer der beteiligten Retter bedankte sich anschließend erleichtert bei der Richterin. Er hatte gemeinsam mit einer Notärztin und einer Notfallsanitäterin einen Rowdie angezeigt. Er selbst erstmals in seinem Leben.

Typ Besserwisser auf der Anklagebank

Der, den sie einfach einmal bestraft wissen wollen, ist ein offenbar leicht erregbarer älterer Herr, ein Rentner, der in der Verhandlung vor dem Amtsgericht Oberndorf oft die Stimme hebt. Typ Besserwisser, er sitzt in Trainingsjacke und Cargohose da, donnert manchmal mit der Faust auf die Anklagebank und ist dabei von lauter Frauen umgeben. Der Richterin, der Staatsanwältin, seiner Verteidigerin – die, wie sich herausstellen sollte, nicht uneingeschränkt auf seiner Seite stand – und der Protokollantin.

Er wirkt, als ertrage er es. Von einer Einsicht in sein mögliches Fehlverhalten jedenfalls keine Spur. Doch geriet der Mann dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft nach in Konflikt mit einem „angeblichen Notarztfahrzeug ohne Sondersignal“, wie er es nennt. Seine Erklärung dafür, dass er einen Einsatz behindert haben könnte: Er habe die Einsatzfahrzeuge, vor allem das der Notärztin, nicht als solches erkennen können.

Die Straftatbestände und ihre Rechtsfolgen:

„Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichgestellt sind, ist nach den §§ 113 und 114 StGB strafbar und umfasst unter anderem Helfer von Feuerwehr, Katastrophenschutz, Rettungsdiensten, ärztlichen Notdiensten und Notaufnahmen.“

Und:

Die Behinderung von Rettungskräften ist strafbar und wird mit einer Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet (gemäß § 323c StGB). Beispiele hierfür sind die Nichtbildung einer Rettungsgasse oder das Gaffen bei Unfällen, was den Einsatz behindern kann.

Notfallfahrt ins Seniorenheim – mit einem Hindernis

Die Geschichte passierte vor gut einem Jahr an einem sonnigen Septembervormittag auf der Fahrt von Schramberg nach Aichhalden. Eine 42-jährige Notfallsanitäterin berichtet von einem Einsatz, zu dem sie und Kollegen gerufen worden seien. Sie seien zeitgleich mit dem Notarzt alarmiert worden zu einem Vorfall in einem Seniorenheim in Aichhalden, die Leitstelle habe ihnen genehmigt, „Sonder- und Wegerechten“ zu nutzen. Sie war Beifahrerin im tonnenschweren Rettungswagen, „wir haben Blaulicht und Sondersignal genutzt“. Sind aus der Oberndorfer Straße eingebogen. „Ein Fahrzeug vor uns war ziemlich penetrant“, erinnert sie sich. Auch an die ungewöhnliche, auffällige Felgenfarbe des Wagens, am Steuer ein älterer Mann. Der wich laut der DRK-Retterin nicht aus, blieb stur vor ihnen. Es habe sogar die vor ihnen ausweichenden Fahrzeuge überholt und selbst nicht Platz gemacht. Sie hätten ihn auf der Fahrt Richtung Sulgen irgendwann überholen können, seien dann selbst aber wieder von dem Wagen überholt worden. Um dann ihrerseits in Höhe Sulgen wieder vorbeizuziehen. Der Wagen jedenfalls habe klar den Einsatz behindert.

„Das war wirklich erschreckend“

Die 60-jährige Notärztin, die damals im Notarztfahrzeug saß, das den Rettungswagen begleitete, und für die das „seit 30 Jahren Tagesgeschäft“ ist, erinnert sich vor Gericht ebenfalls an diesen Wagen. „Der hat uns keinen Platz gemacht, sondern im Gegenteil Gas gegeben, als wir versucht haben, ihn zu überholen“. Sie seien auf der linken Spur Richtung Sulgen gefahren, weil der andere Wagen nicht aus em Weg gegangen sei. Bereits in Schramberg: „Statt anzuhalten und Platz zu machen, ist er weitergefahren und hat Gas gegeben“, sagt die Frau. Habe sie zunächst partout nicht vorbeilassen wollen. Und als sie es auf der Zweispurigen nach Sulgen endlich geschafft hätten, habe er sich wiederum vorbeidrängen wollen. „Der Mann hat uns dann auf der Gegenfahrbahn überholt, über die doppelte Linie weg, das habe ich in meiner langen Laufbahn noch nicht erlebt. Das war wirklich erschreckend.“ Und so erklärt die Ärztin, dass die beteiligten Retter sich nach dem Einsatz in Aichhalden darauf verständigt hätten: „Das wollten wir so nicht stehenlassen, das war für uns ungewöhnlich. Das wollten wir zur Anzeige bringen.“

Eigentlich mit anderen Dingen befasst

Wobei man bemerken muss: Die Notfallsanitäterin und die Ärztin können sich nur ausschnittsweise an die Fahrweise des Autos damals erinnern. Die beiden waren Beifahrerinnen in den jeweiligen Einsatzfahrzeugen und hätten wie üblich versucht, sich auf den Fall in Aichhalden vorzubereiten. „Ich bin auf dem Einsatz, das andere passiert parallel“, sagt die Notärztin. Eigentlich ist es nicht etwa ihre Aufgabe, den Verkehr zu beobachten, der ja den mit Blaulicht und Sondersignal anrückenden Rettern Platz machen sollte. Ihre jeweiligen Fahrerinnen oder Fahrer sollten ja durchziehen können, unterstützt von den übrigen Verkehrsteilnehmern. Das klappt offenbar nicht immer.

Ein ziemlich sturer älterer Herr

Vor Gericht geht die Auseinandersetzung erkennbar weiter. Während der Aussage der Ärztin schaut der Rentner zunächst stur zur Richterin. Die Zeugin würdigt er minutenlang keines Blickes. Mit verschränkten Armen lehnt er sich zurück. Will einen überlegenen Eindruck vermitteln.

Der 55-jährige Fahrer des Notarzteinsatzfahrzeugs (NEF) erinnert sich auch noch gut an jenen Septembertag. Der vor ihm fahrende Rettungswagen (RTW) habe schon Schwierigkeiten gehabt, an einem der Wagen vor ihm vorbeizukommen, weil der lieber die ausweichenden Autos überholt habe und vor dem RTW geblieben sei ohne Platz zu machen. Beide hätten den behindernden Wagen irgendwann auf der Strecke nach Sulgen überholen können, teils erst nach mehrfachem Versuch, – und dann habe der wieder den RTW überholt. Und anschließend auch noch das NEF, auf der Gegenfahrbahn, im Gegenverkehr. Das muss ihnen völlig irre vorgekommen sein, denn deshalb haben sie sich entschieden, sich das Kennzeichen zu merken. Und den Fahrer anzuzeigen. „Jemand, der ein Fahrzeug mit eingeschaltetem Blaulicht überholt, das erlebt man nicht jeden Tag“, sagt der 55-Jährige Retter. Deshalb seien sie nach dem Einsatz direkt zur Polizei Schramberg vorstellig geworden.

Der Herr sieht alles völlig anders

Der mutmaßlich bockige ältere Mann sieht das Ganze jedenfalls auch heute noch völlig anders. Er erinnert sich so an die Einsatzfahrzeuge: „Die hatten es nicht eilig, sind nur mit blauem Licht gefahren, warum weiß keiner. Ich bin selbst ausgebildeter Rettungssanitäter, ich bin selbst mehrere Einsätze gefahren.“ Er wisse also Bescheid, wie so was korrekt zu laufen habe. Er spricht immer wieder von einem „neutralen, angeblichen Notarztwagen“. Vor Gericht, fasst er sich mehrfach an den Kopf, tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Über den Lenker des Notarztautos sagt er: „Der Fahrer wollte mich mit aller Gewalt überholen, mir ist das schleierhaft, wie der so fahren kann.“ Die beiden gerieten damals, während der Fahrt, offenbar in Streit. Road Rage heißt so was im englischsprachigen Raum.

Road Rage mit einem Notarztfahrzeug

Der Mann weiter: „Kurz vor Ausfahrt Sulgen hatte ich ihn wieder eingeholt. Da wollte ich ihn überholen. Die Straße sonst sei „total leer“ gewesen. „Da wollte der den Überholvorgang vereiteln. Dem sollte man den Führerschein abnehmen, das ist versuchter Totschlag. Der ist einfach rübergezogen, als ich am Überholen war.“ Er sei deshalb auf die Gegenfahrbahn ausgewichen, die frei gewesen sei, sagt der Mann. Den laufenden Überholvorgang hätte er „nur mit einer Vollbremsung“ abbrechen können. Also habe er „Stoff gegeben, Vollgas“. Er habe nicht gewusst, was der andere noch geplant hat. Habe Angst verspürt.

Später begegnen sich die beiden seiner Darstellung nach an einer Abfahrt der B 462 nahe Sulgen. Das „silberne, angebliche Notarztfahrzeug“, ein Kleintransporter, habe vor ihm gehalten, ein weiteres Fahrzeug in Grau-Metallic ohne Sonderlackierung, aber mit „schwarzen Aufklebern“, auf dem Dach „normale, blaue Lampen“, habe neben ihm dann gehalten, die Beifahrerin habe minutenlang Fotos mit dem Smartphone von ihm gemacht.

Das scheint aber eine Erfindung zu sein. Die Retter sagen übereinstimmend, das sie nach Aichhalden durchgefahren sind, wo sie rund neun Minuten nach der Alarmierung eingetroffen sind, wie das Einsatzprotokoll wiedergibt. Keine Zeit für Straßenstreitereien. Auch behauptete der Mann, er sei der völlig Falsche. Er glaube, dass andere Fahrzeuge des Rettungsdienstes, etwa Krankentransportwagen ohne Eile, damals unterwegs gewesen seien, dass er mit diesen in Streit geriet. Dass die DRK-Leute ihn austricksen wollten. Er bitte das Gericht, dem nachzugehen.

Nicht vorbestraft

Wer übrigens glaubt, dass hier ein notorischer Verkehrssünder vor Gericht saß, der irrt. Der Mann ist nicht vorbestraft. Nicht nur nicht einschlägig, sondern gar nicht.

Die Fahrzeuge also sollen nicht als DRK-Autos im Einsatz erkennbar gewesen sein, so die mutmaßliche Ausflucht. Schauen wir sie uns an: Der Rettungswagen nach Darstellung derer, die ihn nutzen: viele LED-Blaulichter, die in allen Richtungen blinken, Frontblitzer auf der Motorhaube, ein sehr auffälliges Design in Weiß und Orange. Auch das Notarztfahrzeug, ein Mercedes Vito, sei entsprechend den Vorschriften auffällig beklebt, diesmal in Gelb und Orange, habe einen Blaulichtbalken und weitere markante Merkmale. Und an jenem Tag definitiv das Martinshorn angehabt, so sein Fahrer.

Notarzteinsatzfahrzeug (vorne) und Rettungswagen, wie sie nach übereinstimmenden Aussagen der beteiligten Retter damals im Einsatz waren. Archiv-Foto: Peter Arnegger

Das Urteil: Geldstrafe und Führerscheinentszug

Das Urteil – mit gerötetem Kopf nahm der Mann es entgegen: Er muss eine Geldstrafe in Höhe von 2160 Euro zahlen. Wegen Widerstands gegen die Retter und Behinderung von Rettungskräften. Zudem wird sein Führerschein für die Dauer von sieben Monaten eingezogen. Die Richterin griff durch und schloss sich der Forderung der Staatsanwältin an. Er habe über einen langen Zeitrum und über eine weite Strecke hinweg den Rettern widersetzt.

Für den Mann eine hohe Strafsumme. Sie entspricht dem Doppelten seiner Monatsrente. Er verließ das Oberndorfer Amtsgericht zu Fuß, ging per Pedes Richtung Innenstadt.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Anwältin sieht ihren Mandanten als Schuldigen

Schon für die Staatsanwältin stand nach der Beweisaufnahme fest: Rettungswagen und Notarztfahrzeug wurden behindert, und zwar in mehreren Situationen. Auch das Sondersignal am NEF war an. Alle anderen Verkehrsteilnehmer hätten Platz gemacht, der RTW sei also klar erkennbar gewesen. Der Mann aber habe damals den RTW ausgebremst, sei nicht ausgewichen. Der Mann habe sich „sehr rücksichtslos“ verhalten. Es könne auch keine Rede davon sein, dass die beiden Einsatzfahrzeuge ihn in einer Phase der Auseinandersetzung blockiert hätten. „Hier liegt eine besondere Rücksichtslosigkeit vor“, sagte sie. „Man möchte doch, dass der Verkehr aus dem Weg geht und es dem Rettungsfahrzeug so einfach wie möglich macht.“ Ihre Forderung, der die Richterin anschließend folgte: eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 36 Euro.

Selbst die Rechtsanwältin des Rentners, von der man vielleicht erwartet hätte, dass sie die Zeuginnen und den Zeugen in dem Verfahren als völlig unfähige Leute darstellt, wie Anwälte das mitunter tun: Sie sah tatsächlich „den Sachverhalt im Groben bestätigt“. Für sie machte es allerdings einen erheblichen Unterschied, ob das Martinshorn eingeschaltet war oder nicht. Der Nachweis sei nicht eindeutig geführt. Somit hätte der Mann den Weg nicht unbedingt freimachen müssen, wäre es jedenfalls nicht strafbar, wenn er keinen Platz macht. Sie aber glaubt auch, dass die Auseinandersetzung sich so abgespielt haben müsse. Es sei aber nicht nachgewiesen, dass der ältere Mann durchgehend die Retter behindert hat. Selbst das „wilde Fahrmanöver“, das den Mann auf die Gegenfahrbahn geführt hat, habe die Retter nicht behindert. Ihre beantragtes Urteil, nicht sehr viel milder: 40 Tagessätze zu 35 Euro, also auch immerhin 1400 Euro.




Peter Arnegger (gg)

… ist seit gut 25 Jahren Journalist. Seine Anfänge hatte er bei der Redaktion der “Schwäbischen Zeitung” in Rottweil, beim Schwäbischen Verlag in Leutkirch volontierte er. Nach einem Engagement bei der zu diesem Verlag gehörenden Aalener Volkszeitung wechselte Arnegger zur PC Welt nach München, einem auf Computer-Hard- und -Software spezialisierten Magazin. Es folgten Tätigkeiten in PR und Webentwicklung.2004, wieder in seiner Heimat angekommen, half Arnegger mit, die NRWZ aus der Taufe zu heben. Zunächst war er deren Chefredakteur, und ist zwischenzeitlich Geschäftsführer der NRWZ Verwaltungs GmbH – und als solcher der verantwortliche Journalist der NRWZ.Peter Arnegger ist 1968 in Oberndorf / Neckar geboren worden.
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